Direkt zum Inhalt

ZIF Kompakt | UNMISS: Vorbereitung auf ein schwieriges Wahljahr

Afrika
Südsudan
AU UN
Friedensprozess Peacekeeping und Peacebuilding
| ZIF kompakt
© UN Photos/Isaac Billy

PDF Download

Im Dezember 2024 sollen in Südsudan Wahlen stattfinden – die ersten seit der Unabhängigkeit vor 13 Jahren. Die Übergangsregierung hinkt der Schaffung wesentlicher Voraussetzungen allerdings so dramatisch hinterher, dass in Frage steht, ob der Urnengang inmitten einer angespannten Gesamtsituation stattfinden wird. Die Sicherheitssituation auf subnationaler Ebene ist weiterhin instabil, die humanitäre Lage als Folge des Krieges im benachbarten Sudan zunehmend alarmierend. Für UNMISS, die United Nations Mission in South Sudan, hat der Schutz der Zivilbevölkerung neben ihrer wichtigen Rolle bei der Unterstützung der Wahlen weiter Priorität. Am 31. März steht das Mandat der Mission im UN-Sicherheitsrat zur Verlängerung an. Deutschland beteiligt sich seit 2011 an dem Einsatz, zuletzt mit bis zu 50 Soldat:innen und nach Beschluss des Kabinetts im Dezember 2023 – künftig bis zu 20 Polizist:innen.

Aktueller Stand Umsetzung Friedensabkommen

Seit Bildung der Übergangsregierung (Revitalised Transitional Government of National Unity/RTGoNU) im Februar 2020 mit den Hauptkontrahenten des Bürgerkriegs an der Spitze – Salva Kiir (SPLM) als Präsidenten und Riek Machar (SPLM/IO) als Erstem Vizepräsidenten – wird das im September 2018 von IGAD (Intergovernmental Authority on Development) vermittelte, revitalisierte Friedensabkommen (Revitalized Agreement on the Resolution of the Conflict in South Sudan/R-ARCSS) nur langsam bzw. selektiv implementiert. Im August 2022 einigten sich die Unterzeichner auf eine Roadmap[1] für die Bewältigung der verbliebenen Aufgaben der Transition und verlängerten die im Februar 2020 mit der Regierungsbildung begonnene dreijährige Übergangsphase bis Februar 2025 (s. ZIF kompakt, März 2023).

Die ursprünglich im Dezember 2022 abzuhaltenden Wahlen sollen nun im Dezember 2024 stattfinden. In einem Briefing an den UN-Sicherheitsrat stellte Jean-Pierre Lacroix, Under-Secretary-General for Peace Operations, jedoch zuletzt fest: „As things stand, South Sudan is not ready for elections.“ (SC/15611). Um diese Ende des Jahres frei, fair und friedlich durchführen zu können, muss laut jüngstem Bericht des UN-Generalsekretärs im April eine „kritische Masse“ zentraler Benchmarks des sechs thematische Kapitel umfassenden Friedensabkommens umgesetzt sein (S/2024/188, Februar 2024). Dazu gehören insbesondere:

  1. Implementierung der Übergangs-Sicherheitsvereinbarungen: Laut Abkommen sollen die Vereinigten Sicherheitskräfte (Necessary Unified Forces/NUF) am Ende der Transitionsphase aus 83.000 Personen bestehen und ehemalige Oppositionskräfte integriert haben. Nach Abschluss der Ausbildung von 53.000 Kräften im Januar 2023 sind aktuell 4.000 disloziert, allerdings unter Benachteiligung ehemaliger Oppositionskräfte bei Ausrüstung und Einkommen. Dem umfänglichen Einsatz der NUF steht außerdem die nach wie vor ungeklärte Kommando- und Kontrollstruktur entgegen. Die Verzögerung stellt eine große Herausforderung für die Schaffung eines sicheren Umfelds vor, während und nach dem Wahl-ereignis dar. Auch im weiteren Bereich SSR (Security Sector Reform) sowie DDR (Disarmament, Demobilization and Reintegration) gab es keine nennenswerten Fortschritte (S/2023/922).
  2. Ausarbeitung einer neuen ständigen Verfassung: Seit Inkrafttreten des Constitution-Making Process Act im Dezember 2022 ist kaum Bewegung in den Ausarbeitungsprozess gekommen, der im Juli 2024 – sechs Monate vor den Wahlen – abgeschlossen sein sollte. Zwar wurden im Dezember 2023 die Mitglieder der National Constitutional Review Commission (NCRC) vereidigt (vorgesehen: August 2022), mangels Ressourcen ist die den Verfassungs-Prozess beaufsichtigende NCRC aber noch nicht voll funktional. Insgesamt liegt die Ausarbeitung über ein Jahr hinter dem Zeitplan.
  3. Operationalisierung zentraler Institutionen für die Wahl: Wie der NCRC mangelt es auch zwei weiteren zentralen Institutionen an den für ihre Arbeit notwendigen Ressourcen: der (nach Disput über ihre Zusammensetzung) erst seit Januar eingeschworenen National Election Commission (NEC) und dem Political Parties Council (PPC). Die umfängliche Operationalisierung beider Institutionen müsse dringend erfolgen, so der UN-Generalsekretär (S/2024/188). Mit technischer Unterstützung von UNMISS und UNDP (United Nations Development Programme) konnte PPC die Parteienregistrierung im Januar starten.

Weitere Punkte, die laut Guterres umgehend umgesetzt werden müssen, sind: Klärung des rechtlichen Rahmens und der Finanzierung der Wahlen; Klärung der Abgrenzung von Wahlbezirken; Einigung über die Modalitäten der Wählerregistrierung; Einrichtung eines Mechanismus zur Beilegung von Wahlstreitigkeiten; Schaffung des zivilgesellschaftlichen und politischen Raums; Aufstellung eines Verhaltenskodexes, der die Parameter für politische Aktivitäten festlegt; Ausarbeitung eines Sicherheitsplans für den Zeitraum der Wahlen. Auch gilt es zu klären, wie die große Zahl von IDPs (Internally Displaced Persons) und Flüchtlingen in den Wahlprozess eingebunden werden kann (S/2023/784, Oktober 2023).

Zudem muss entschieden werden, welche Art von Wahlen im Dezember stattfinden sollen. Noch ist offen, ob gleichzeitig Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sowie regionale und kommunale Wahlen durchgeführt werden oder ob dies nacheinander erfolgt.

[1] “Agreement on the Roadmap to a Peaceful and Democratic End to the Transitional Period of the Revitalised Agreement on the Resolution of the Conflict in the Republic of South Sudan”

Mandat von UNMISS

Das Mandat von UNMISS wurde im März 2023 bis zum 15. März 2024 verlängert (S/RES/2677), die beiden ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat China und Russland enthielten sich der Stimme. Die zentralen Aufgaben blieben unverändert: (1) Schutz der Zivilbevölkerung (Protection of Civilians/POC); (2) Absicherung humanitärer Hilfe; (3) Unterstützung bei der Umsetzung des R-ARCSS und des Friedensprozesses; sowie (4) Überwachung der Menschenrechte und Untersuchung von Verstößen.

In der Umsetzung des seit 2013 prioritären Schutzauftrags hat die Mission ihre Strategie seit 2021 angepasst; damals waren vier von fünf UNMISS-POC-Sites in reguläre IDP-Camps unter südsudanesischer Führung überführt worden. Infolge veränderte die Mission ihren Ansatz weg von einer static physical protection in POC-Sites hin zu einem flexiblen proaktiven Einsatz in der Fläche. Dazu gehörte die Einrichtung von aktuell vier Temporary Operating Bases (TOB). 2024 sollen - auch im Hinblick auf mögliche gewaltsame Auseinandersetzungen in der Wahlperiode – über das Land verteilt elf weitere TOB etabliert werden (S/2023/955). Seit Anfang Dezember 2023 ist zudem das United Nations Standing Police Capacity (SPC)-Team aus Brindisi vor Ort, um die Beratungskapazität der UNMISS-Polizeikomponente unter anderem in Bezug auf die Sicherheit der Wahlen zu stärken. Trotz der in den vergangenen Jahren verbesserten Beziehungen zur Regierung und einer hohen Akzeptanz in der Bevölkerung (Survey 2022-23) bleibt die Umsetzung des POC-Mandats für UNMISS auch wegen der schlechten Infrastruktur und immer wieder stattfindender Einschränkungen der Bewegungsfreiheit eine große Herausforderung.

Bei der Unterstützung der Wahlen arbeitet UNMISS in einer Task Force mit der Afrikanischen Union und IGAD zusammen und verfolgt einen zweiphasigen Ansatz: In Phase 1 liegt der Fokus auf der Ausweitung des limitierten politischen und zivilgesellschaftlichen Raums sowie dem Kapazitätsaufbau. In Phase 2 soll die Mission die Durchführung der tatsächlichen Wahlen unter anderem mit Logistik unterstützen (S/PV.9507).

Die Obergrenze für uniformiertes Personal wurde 2023 mit 17.000 Soldat:innen und 2.101 Polizist:innen beibehalten. Als Option für die Verlängerung des UNMISS-Mandats Mitte März ist ein Technical Rollover (Verlängerung des bestehenden Mandats ohne Veränderung bis Ende April) im Gespräch, um auf Grundlage des dann erreichten Status Quo in der Umsetzung des Friedensabkommens eine mögliche Anpassung der Aufgaben vornehmen zu können. Das aktuelle Mandat für den Einsatz der Bundeswehr an UNMISS endet am 31. März 2023. Künftig werden (nach dem Abzug 2016) auch wieder bis zu 20 Polizist:innen des Bundes und der Länder in Südsudan eingesetzt werden können. Sie sollen dabei unterstützen, die Strukturen der südsudanesischen Polizei nachhaltig aufzubauen und die Polizeiarbeit für die Wahlen vorzubereiten (Bundesregierung).

Sicherheitssituation, Menschenrechte und humanitäre Lage

Die Sicherheitslage ist weiterhin fragil. Der 2018 vereinbarte Waffenstillstand hält weitgehend, seit 2020 findet die Konfliktdynamik verstärkt auf subnationaler Ebene statt. Die Gesamtzahl gewaltsamer Vorfälle ist laut jüngstem GS-Bericht (Berichtszeitraum 1. Dezember 2023 bis 15. Februar 2024) im Vergleich zum letzten Berichtszeitraum (1. September bis 30. November 2023) um 20 Prozent gesunken, von 217 auf 174. Die Zahl der zivilen Opfer stieg jedoch von 727 auf 777, ebenso die Zahl der Todesopfer von 323 auf 381. Für 80 Prozent der zivilen Opfer seien lokale Milizien und/oder Bürgerwehren verantwortlich, für 16 Prozent Sicherheitskräfte der Regierung oder andere bewaffnete Gruppen.

Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie sexualisierte Gewalt sind ein anhaltendes Problem, Straflosigkeit ist nach wie vor weit verbreitet (Human Rights Watch). Nach einem Gewaltausbruch in der letzten verbliebenen POC-Site in Malakal im Mai/Juni 2023 setzte UNPOL, die für den Schutz in dem Lager mit über 40.000 Menschen verantwortlich ist, eine Women’s Protection Unit für Patrouillen ein.

Der seit April 2023 andauernde Krieg im benachbarten Sudan hat sowohl die Sicherheitssituation als auch die durch gewaltsame kommunale Konflikte, eine schlechte wirtschaftliche Lage sowie klimabedingte Dürren und Überschwemmungen bereits drängende humanitäre Krise verschärft. Südsudan erlebt die größte Flüchtlingskrise auf dem afrikanischen Kontinent: Rund 560.000 Menschen – davon 79 Prozent rückkehrende Südsudanes:innen, 20 Prozent Sudanes:innen und 1 Prozent Asylsuchende – haben seit Beginn des Bürgerkriegs die Grenze zu Südsudan überquert (Stand: Februar 2024). 2 Millionen sind intern vertrieben, fast 2,4 Millionen südsudanesische Flüchtlinge leben in Nachbarländern. Im laufenden Jahr werden ca. 9 von 12,4 Millionen Menschen in Südsudan auf humanitäre Hilfe angewiesen sein (OCHA), 1,6 Millionen Kinder sind von akuter Unterernährung bedroht. Das Land bleibt weltweit einer der gefährlichsten Orte für humanitäre Helfer:innen: 2023 wurden 34 getötet (2022: 23, AWSD).

Ausblick

Mehr als fünf Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens ist es den ehemaligen Konfliktparteien mangels politischen Willens nicht gelungen, zentrale Themen umzusetzen. Für die Übergangsregierung zeichnet sich damit 2024 eine schwierige politische Entscheidung ab: Abhaltung von Wahlen ohne aus-reichende Vorbereitung oder Verschiebung des Urnengangs, was eine Verlängerung der im Februar 2025 endenden Transitionsphase bedeuten würde – die Wahlen müssen laut Friedensabkommen 60 Tage vor ihrem Ende stattfinden.

Beide Optionen bergen Risiken. Die UN warnten Anfang März vor möglichen desaströsen Konsequenzen eines schlecht gemanagten Urnengangs in dem fragilen Land. Auf der anderen Seite könnte eine erneute Verschiebung der Wahlen, die von der Bevölkerung laut einer repräsentativen nationalen Umfrage lieber eher als später stattfinden sollten (FES South Sudan), die Glaubwürdigkeit des Friedensabkommens unterminieren. In diesem Kontext sind die Unterstützung bei der Umsetzung zentraler Benchmarks des Abkommens und der Schutzauftrag von UNMISS wichtiger denn je. Deutschland sollte seine Unterstützung des Einsatzes daher wie bisher fortsetzen.

Zudem sollte der internationale Druck auf die Übergangsregierung erhöht werden, auch die weiteren verbliebenen Aufgaben der Transition wie die Etablierung von Institutionen und Mechanismen der Übergangsjustiz zu implementieren. Deutschland unterstützt unter anderem in diesem Bereich über den Peacebuilding Fund, dessen größter Geber die Bundesregierung ist und der aktuell neun Projekte in Südsudan finanziert (bewilligtes Budget: 26,9 USD).

Südsudan steht 2024 an einem Scheideweg. Wie es UN-Generalsekretär Guterres in seinem Bericht (S/2023/784) über die Ursachen für die verzögerte Umsetzung des Friedensabkommens formulierte: „The window of opportunity to effect change is closing.”

 

Download als PDF