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ZIF kompakt | UNIFIL: Chancen und Risiken nach dem Waffenstillstand

Naher und Mittlerer Osten
Libanon
UN
Maritime Sicherheit Peacekeeping und Peacebuilding Stabilisierung
| ZIF kompakt
© Pasqual GORRIZ (UN)

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Einerseits sind die Aussichten auf eine Stabilisierung von Libanon so vielversprechend wie seit Jahren nicht mehr: Dem Waffenstillstand zwischen Israel und Libanon vom 26. November 2024 folgten die Wahl eines neuen libanesischen Staatspräsidenten und die Ernennung von Premierminister und Kabinett. Die Hisbollah hat sich aus dem Süden des Landes weitgehend zurückgezogen. Gleichzeitig bleiben die Herausforderungen enorm. Israel besetzt weiterhin Positionen in Südlibanon, gegenseitige Angriffe der Konfliktparteien mit Raketen, Drohnen und Kampfflugzeugen dauern an – über die Stellungen von UNIFIL hinweg. Trotz erheblicher Verluste verfügt Hisbollah noch über tausende Kämpfer, schwere Waffen und politischen Rückhalt. Der Angriff Israels vor wenigen Tagen auf Iran, den wichtigsten Verbündeten der Miliz, macht die Situation noch unberechenbarer. In dieser Lage bleibt UNIFIL mit seiner Unterstützung für die libanesischen Streitkräfte in Südlibanon ein unverzichtbarer Stabilitätsfaktor.

Beitrag zur Stabilisierung: das Mandat von UNIFIL

Die UN Interim Force in Lebanon ist mit einer Einsatzdauer von über vierzig Jahren einer der ältesten UN-Einsätze. Ursprünglich hatte die Mission die Aufgabe, den Abzug israelischer Truppen aus Südlibanon zu überwachen und die libanesische Regierung dabei zu unterstützen, die „effektive Kontrolle“ über den Süden zurückzugewinnen (S/RES/425 und S/RES/426 vom 19.03.1978). Das Einsatzgebiet umfasst das Territorium Libanons südlich des Flusses Litani, westlich der Grenze zu Syrien und nördlich der rund 120 Kilometer langen „Blue Line“. Dies ist die im Jahr 2000 von der UN festgelegte Rückzugslinie zwischen Libanon und Israel, nicht aber die international anerkannte Grenze zwischen beiden Staaten. Im Zuge des zweiten Libanonkrieges (Juli-August 2006) wurde das Mandat von UNIFIL wesentlich verändert (S/RES/1701 vom 11.08.2006). Die Mission wurde von rund 2.000 auf bis zu 15.000 Personen aufgestockt und erhielt ein robustes Mandat. Zu ihren Aufgaben gehört die Überwachung des Waffenstillstands zwischen Israel und Libanon und die Unterstützung der Stationierung der regulären libanesischen Streitkräfte (Lebanese Armed Forces, LAF) entlang der „Blue Line“. 

Zudem soll UNIFIL auch ein Waffenembargo gegen nicht-staatliche libanesische Gruppen überwachen. Erstmalig im Rahmen der UN wird dazu ein Flottenverband, die Maritime Task Force (MTF), eingesetzt, an dem sich die Deutsche Marine von Beginn an beteiligt hat. Neben der Überwachung des Waffenembargos in ihrem Einsatzgebiet soll die MTF Ausbildungsunterstützung für die libanesische Marine leisten. Seit Beginn der Operation wurden rund 135.000 Schiffe überprüft und rund 19.000 davon zur Inspektion an die libanesischen Behörden gemeldet. 

Das aktuelle Mandat (S/RES 2749 vom 28.08.2024) nennt eine Obergrenze der Truppenstärke von UNIFIL von 13.000. Zurzeit beträgt die Stärke der Mission rund 10.600 Personen – davon 9.800 Soldat:innen und 800 zivile Kräfte (Stand: Februar 2025). Head of Mission und Force Commander ist der spanische Generalmajor Aroldo Lázaro. Die MTF besteht aktuell aus fünf Schiffen, darunter die deutsche Fregatte „Baden-Württemberg“, eine weitere Fregatte aus Griechenland sowie drei Korvetten aus Bangladesch, Indonesien und der Türkei. 
Kommandeur der MTF ist der deutsche Flottillenadmiral Richard Kesten. 

Bei der Mandatsumsetzung wird UNIFIL von rund 50 unbewaffneten Militärbeobachter:innen der Observer Group Lebanon (OGL) unterstützt, die seit 1948 (S/RES/50) als Teil der UN Truce Supervision Organization (UNTSO) den Waffenstillstand zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarstaaten überwacht. Die OGL operiert aus UNIFIL-Basen und patrouilliert entlang der „Blue Line“. 

Der deutsche Beitrag: Ausbildung, Ausrüstung, Seeraumüberwachung

Lag zu Beginn der deutschen Beteiligung der Schwerpunkt noch auf der Seeraumüberwachung, steht mittlerweile die Unterstützung Libanons bei der eigenverantwortlichen Sicherung seiner Seegrenzen im Vordergrund. Bundeswehrangehörige unterrichten libanesische Offiziere in Seemannschaft und Taktik und trainieren an einem Schifffahrtssimulator Navigation. Diese Trainingsmaßnahmen sind aktuell ausgesetzt, sollen aber so bald wie möglich wieder aufgenommen werden. Zusätzlich dienen Angehörige der Bundeswehr im UNIFIL-Hauptquartier in Naqura und in einer Unterstützungsgruppe auf Zypern. Die immer noch angespannte Sicherheitslage in Naqura erfordert aktuell umfangreiche Maßnahmen zum Schutz der Truppe. Die deutsche Beteiligung liegt bei rund 260 Bundeswehrangehörigen (Stand: Juni 2025). Maximal können rund 300 Soldat:innen eingesetzt werden. Diese Personalanzahl soll nach Antrag der Bundesregierung auch für die im Juni 2025 anstehende Verlängerung des Mandates beibehalten werden. Das neue Mandat soll Geltung bis zum 30.06.2026 haben. Für den Zeitraum vom 01.07.2025 bis zum 30.06.2026 werden die Kosten auf rund 61,6 Mio. Euro beziffert. 

Die militärische und politische Lage in Libanon

Am 08. Oktober 2023 feuerte Hisbollah auf israelische Stellungen, in „Solidarität“ mit dem Terrorangriff der 
Hamas am vorherigen Tag. Es folgte ein Konflikt von fast 14 Monaten Dauer. Waren die Kampfhandlungen in den ersten Monaten noch auf niedrigem Niveau, weitete Israel seine Angriffe ab Mitte September 2024 massiv aus. 
Bei Luftangriffen auf Beirut wurde ein Großteil der Hisbollah-Elite getötet, darunter am 27. September der jahrzehntelange Anführer, Hassan Nasrallah. Am 01. Oktober marschierten die Israeli Defence Forces (IDF) in Südlibanon ein. Auch UNIFIL geriet dabei in die Schusslinie, hielt aber die Stellung und demonstrierte ihre wichtige Rolle als Puffer und als Zeuge der Kampfhandlungen. Bis zur Einstellung der Gefechte Ende November fügten sie Hisbollah erhebliche Verluste zu. Nach eigenen Angaben töteten sie 3000 Kämpfer (von geschätzten 25.000) und zerstörten 80% der Raketen der Miliz. Ungeachtet der Versuche der Hisbollah, den von den USA und Frankreich vermittelten Waffenstillstand als eigenen „Sieg über Israel“ darzustellen, ist klar, dass die Position der Miliz schwächer ist als seit Jahrzehnten. Der Sturz des mit ihr eng verbündeten Assad-Regimes in Syrien Ende 2024, der ihren Nachschub von Waffen und Bargeld aus dem Iran abgeschnitten hat, hat ihre Position weiter verschlechtert. 

Auch innenpolitisch steht Hisbollah unter großem Druck. Die meisten nicht-schiitischen Libanesen geben ihr eine wesentliche Schuld am Krieg mit Israel und seinen enormen Verwüstungen: rund 4.000 Tote, 16.000 Verletzte und hunderttausende Vertriebene auf dem Höhepunkt der Kämpfe sowie ein materielle Schäden, deren Behebung laut Weltbank über elf Milliarden Dollar kosten wird. In dieser Situation war Hisbollah zu Zugeständnissen gezwungen. Sie ermöglichte im Januar 2025 die Wahl des ehemaligen Armeechefs Joseph Aoun zum Präsidenten und stimmte der Ernennung von Nawaf Salam zum Premierminister sowie seines Kabinetts zu. Damit wurde ein seit 2022 bestehendes doppeltes Machtvakuum an der Spitze des libanesischen Staates beendet. 

Hisbollah zog sich auch – wie im Waffenstillstandsabkommen vorgesehen – aus Südlibanon zurück. Dies ermöglichte der LAF, mit wesentlicher Unterstützung durch UNIFIL, wieder in das Grenzgebiet zu Israel einzurücken und dort Stellungen und Waffenlager der Hisbollah zu zerstören bzw. zu beschlagnahmen. Allerdings verweigert sich die Miliz einer vollständigen Entwaffnung ihres militärischen Arms, insbesondere mit Hinweis auf die Besetzung von fünf Stellungen auf libanesischem Gebiet durch die IDF, die nach Angaben des israelischen Verteidigungsministeriums dauerhaft sein wird. Entsprechend wird es eine zentrale Aufgabe der neuen Regierung sein, auf eine schrittweise Entwaffnung von Hisbollah hinzuarbeiten, ohne ihre Existenz als zentraler Repräsentant der Schiiten in Libanon – was die Kommunalwahlen im Mai 2025 noch einmal bewiesen haben – in Frage zu stellen.

Ausblick

UNIFIL hat Kritik auf sich gezogen. Hierbei geht es um Fragen der Wirksamkeit, der Kosten-Nutzen-Relation und auch der Gefährdung der eingesetzten Soldat:innen, nicht zuletzt durch die israelische Armee. Dennoch: In dieser Lage bleibt UNIFIL mehr denn je ein unersetzlicher Garant der Sicherheit Libanons. Sie ist – gemeinsam mit Israel, Libanon, Frankreich und den USA – Teil des Mechanismus, der die Einhaltung des Waffenstillstandes überwacht. Die Mission hat auch ihre Patrouillentätigkeit an der Landgrenze zwischen Libanon und Israel wieder aufgenommen. Insbesondere unterstützt sie die LAF bei der Übernahme der Kontrolle über die Region südlich des Litani und verringert so langfristig die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr der Hisbollah und einer weiteren Eskalation zwischen Israel und Libanon. Ihre Kontrolle des Seegebiets vor Libanon wird in Zukunft eher noch wichtiger werden, um mögliche Schmuggelaktivitäten aus Iran zur Wiederbewaffnung der Hisbollah zu verhindern. Zu diesen Aufgaben leistet das Kontingent der Bundeswehr einen ganz wesentlichen Beitrag. Angesichts der kritischen Lage in Libanon sollte Deutschland UNIFIL weiter in diesem Umfang unterstützen.