ZIF kompakt | Saving "One Palestine"? Europas schwierige Rolle bei der Umsetzung des Trump-Plans
© EU Neighbours South
Kurz vor Ende des Jahres kommt noch einmal Bewegung in die Verhandlungen zur weiteren Umsetzung des 20-Punkte-Plans der Amerikaner für den Gaza-Streifen. Sowohl Israel, auch als die USA signalisieren, dass sie die erste Phase des Plans demnächst als abgeschlossen ansehen werden. In diesen Prozess waren die Europäer bisher kaum eingebunden, trotz der vielen Instrumente und des langanhaltenden Engagements der EU im Nahen Osten. Für die weitere Beteiligung der Europäer könnten nun die Einsätze der EU im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), EUPOL COPPS und EUBAM Rafah, eine besondere Rolle spielen – vor allem in der nahen Zukunft in Gaza. Trotz der wechselhaften Politik aus Washington sind nicht nur die EU, sondern auch viele arabische Staaten bereit, unter der Führung der Amerikaner Verantwortung für diesen Prozess zu übernehmen, und ihn wenn möglich auf einen umfassenden Weg hin zu einer 2-Staaten-Lösung auszurichten. Diese ist nur denkbar, wenn ein palästinensisch regiertes Gaza nicht vom Westjordanland und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) getrennt wird. Zuletzt wurde diese Betonung von „One Palestine“ in der sogenannten "New York Declaration", einer französisch-saudischen Initiative, im Juli 2025 erneut deutlich gemacht: “One State, One Government, One Law, One Gun” in allen palästinensischen Gebieten.
20 Punkte und eine Resolution
Am 29. September verkündete Trump bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus einen 20-Punkte-Plan für Gaza, dessen Umsetzungsvereinbarung zwei Wochen später von den Staats- und Regierungschefs der USA, Ägypten, Türkei und Katar im Beisein diverser anderer Staatsoberhäupter als „The Trump Declaration for Enduring Peace and Prosperity“ unterschrieben wurde. Sowohl die israelische Regierung als auch die Hamas hatten auf Druck der USA zugestimmt. Der Plan sieht drei Phasen vor: in Phase 1 wird ein Waffenstillstand befolgt, Geiseln, Gefangene und Leichname ausgetauscht sowie humanitäre Hilfe und ein beidseitiges Grenzregime zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen über den Grenzposten Rafah ermöglicht. Phase 2 würde die Etablierung einer temporären Verwaltung unter Aufsicht eines Board of Peace (BoP), die Entsendung einer International Stabilization Force (ISF) in den Gaza-Streifen, den Aufbau einer nicht mehr von der Hamas geführten palästinensischen Polizei für Gaza sowie die Entwaffnung der Hamas bedeuten, bevor in einer dritten Phase der langfristige Wiederaufbau und eine etwas vage gehaltene palästinensische Eigenverantwortung und Eigenstaatlichkeit umgesetzt würde – vorausgesetzt, die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) würde sich erfolgreich reformieren. Obwohl einige Fragen offenbleiben, wurde der Plan weltweit begrüßt. Trotz regelmäßiger Verletzungen des Waffenstillstands, hat er zumindest größere kriegerische Auseinandersetzungen fürs erste gestoppt, und endlich zur Wiederaufnahme von, wenn auch noch ungenügenden, Lieferungen humanitärer Hilfe geführt.
Früh haben vor allem potenzielle Truppen-stellende Staaten für die ISF betont, dass sie nur mit einer Mandatierung durch den UN-Sicherheitsrat bereit seien, sich zu beteiligen. Resolution 2803 vom 17. November – vom Guardian als "One of the oddest UN resolutions in history" bezeichnet – ist eine Überführung des Trump-Plans in ein Gerüst der Vereinten Nationen (der 20-Punkte-Plan ist auch ein Annex dieser vergleichsweise kurzen Resolution). Sie lässt dem BoP relativ freie Hand, denn außer einer halbjährlichen Berichtspflicht gegenüber dem Sicherheitsrat und einer Begrenzung des Mandats bis Ende 2027 gibt es weder eine Kontrolle durch die UN noch eine Bindung an vorherige UN-Resolutionen. Dies ist zwar ungewöhnlich, aber kein Novum, hatte doch auch die UN-Resolution 1244 für Kosovo eine internationale Übergangsverwaltung und mit der KFOR einen davon unabhängigen Militäreinsatz mandatiert.
Die EU ist in diesem Prozess bisher nur wenig involviert gewesen. Weder wurde sie im 20-Punkte-Plan, noch in der Resolution genannt. Erwähnung findet die „New York Declaration“, eine wichtige Referenz, weil somit die 2-Staaten-Lösung – eine Priorität europäischer Politik im Nahen Osten – als explizites Ziel in den 20-Punkte-Plan eingefügt wurde. Dazu gibt es einige mögliche Anknüpfungspunkte für die EU in beiden Dokumenten, sei es über die Teilnahme an der ISF, dem BoP, dem Training der Polizei für Gaza oder der von Ägypten koordinierten Wiederaufbaukonferenz, die für Januar in Washington DC angesetzt ist. Ein zentrales Puzzlestück für die weitere Beteiligung der EU sind ihre beiden Missionen, die von ihr geleistete humanitäre Hilfe (allein seit dem 7. Oktober 2023 wurde von europäischer Seite humanitäre Hilfe im Umfang von fast 1.6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt), Zahlungen für den Wiederaufbau sowie der Unterstützung der Reform der PA.
20 Jahre EU-Missionen für Gaza und das Westjordanland
Mehr als zwei Jahrzehnte sind EUBAM Rafah (November 2005) und EUPOL COPPS (Januar 2006) bereits vor Ort. Bei ihrer Gründung 2005/06 war die Perspektive auf eine Zwei-Staaten-Lösung noch vorhanden, wenngleich mehrere Versuche, den Oslo-Friedensprozess wiederzubeleben, keinen Erfolg gezeitigt hatten. 2005, gegen Ende der zweiten Intifada, hatte Israel den einseitigen Abzug aus Gaza inklusive der Räumung seiner Siedlungen beschlossen. 2006 gewann die Hamas die bisher letzten Wahlen zur legislativen Versammlung der PA und übernahm 2007 mit Gewalt die Macht im Gaza-Streifen. Während EUBAM Rafah nach der Machtübernahme der Hamas über Jahre hinweg stark reduziert und nur außerhalb des Gazastreifens tätig war, hat EUPOL COPPS kontinuierlich versucht, die PA im Westjordanland beim Aufbau, der Reform und der Professionalisierung im Sicherheits- und Justizsektor zu begleiten. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Gewährleistung, dass Reformen unter palästinensischer Führung (Palestinian ownership) stattfinden und internationale Standards und Menschenrechte eingehalten werden. EUBAM Rafahs ursprüngliches Mandat enthält bisher vor allem das Monitoring am Grenzübergang Rafah (zwischen Ägypten und Gazastreifen), um die Umsetzung der Vereinbarungen zwischen der Regierung Israels und der PA zu überprüfen. Außerdem unterstützt die Mission den Aufbau palästinensischer Kapazitäten in allen Bereichen des Grenzmanagements.
Beide Einsätze hatten in den letzten Jahren mit Kritik zu kämpfen. EUBAM Rafah als stark verkleinerte „schlafende“ Mission außerhalb ihres eigentlich mandatierten Einsatzgebietes, EUPOL COPPS als zu technische Mission, die nach zwei Jahrzehnten kaum mehr Fortschritte in der Mandatsumsetzung im Westjordanland erzielen könne und in Ermangelung eines politischen Prozesses eigentlich keine Aufgabe mehr habe. Doch nun erscheinen beide zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit dem richtigen Mandat: EUBAM Rafah ist seit Wochen damit beschäftigt, die PA und Ägypten bei der Wiedereröffnung des Grenzübergangs Rafah zu unterstützen. Und EUPOL COPPS hat seine Fühler ausgestreckt, um in die bereits stattfindende Ausbildung von palästinensischen Polizist:innen für Gaza in Ägypten eingebunden zu werden. In einem geleakten EU-Papier schlägt Brüssel vor, dass EUPOL COPPS die Führung übernehmen solle bei der Ausbildung von den Polizist:innen aus Gaza, die noch immer von der PA bezahlt werden (als Teil einer vorgesehenen Gesamtpolizei im Gaza-Streifen). Für EUBAM Rafah überlegt man, ob die Mission nicht zusätzliche Grenzübergänge in ihr Mandat aufnehmen solle. Beides wäre aber nur mit einem deutlichen Aufwuchs an Personal und Budget, mehr politischer Unterstützung der Mitgliedsstaaten sowie amerikanischer und israelischer Zustimmung möglich. Deutschland sekundiert bereits seit Beginn beider Missionen Personal (zivil und polizeilich). Per Kabinettsbeschluss wurden im Februar die Obergrenzen der möglichen polizeilichen Beiträge zu beiden Missionen erhöht.
Vor allem das europäische Drängen auf den frühen und nachhaltigen Einbezug der PA in die Planungen für die Polizei in Gaza trifft sowohl auf amerikanischen wie israelischen Widerspruch, ist aber der einzige Weg, zumindest die Option einer 2-Staatenlösung offen zu halten. Falls dagegen amerikanische Akteure statt auf die PA auf einzelne Clans oder Milizen im Gaza-Streifen setzen, die in Opposition zur Hamas stehen, könnte es zu einem gefährlichen Aufbau von konkurrierenden und recht fragwürdigen palästinensischen Sicherheitsakteuren kommen. EUPOL COPPS und EUBAM Rafah verfügen über 20 Jahre Erfahrung und Kontakte in den palästinensischen Gebieten und sind die einzigen Akteure, die im PA-eigenen Wiederaufbauplan für den Sicherheitssektor in Gaza als externe Partner genannt werden. Darüber hinaus ist EUPOL COPPS für Teile der sogenannten Reform-Matrix zuständig, die zwischen PA und Europäischer Kommission vereinbart wurde. 47 Ziele soll die PA umsetzen. Dies könnte die Grundlage sein für eine Bewertung einer Reform der PA, wie sie im 20-Punkte-Plan gefordert wird.
ISF und die Entwaffnung der Hamas
Neben der Planung, Ausbildung und Entsendung einer palästinensischen Polizei wird der Aufbau und Einsatz der ISF ein Schlüssel sein. In dieser Woche treffen sich knapp 25 interessierte Länder in Doha beim ersten Teil einer sogenannten Force Generation Konferenz, welche die bisherigen Absichtserklärungen einiger Länder in tatsächliche Truppenstellung überführen soll. Mit der Entsendung erster Kontingente der ISF in den Gaza-Streifen soll noch im Frühjahr 2026 begonnen werden. Hier gibt es israelischen Widerstand gegen einige Staaten, u.a. die Türkei, die laut eigenen Aussagen bereits eine Brigade von 2.000 Soldaten:innen (Infanterie, Logistik, Pioniere und Kampfmittelräumung) vorbereitet. Indonesien hat 20.000 Soldat:innen ins Spiel gebracht. Auch Pakistan, Aserbaidschan und Katar wollen sich beteiligen. Ägypten baut für die ISF einen Standort auf dem Sinai aus.
Von europäischer Seite kamen bisher nur von Italien erste Signale. Italien hatte auch schon früh 200 Gendarmen für das Polizeitraining angekündigt. Die Zurückhaltung einiger Länder beim Thema ISF und Polizei für und in Gaza hängt natürlich vor allem mit der Frage der Entwaffnung der Hamas zusammen. Dieses Thema diskutieren die Amerikaner weiterhin unter Vermittlung von Katar und Ägypten mit der Hamas. Vor kurzem wurden erste Stimmen aus dem Umfeld der Hamas laut, die zu einer Abgabe einzelner Waffensysteme aufriefen – allerdings nicht zu einer vollkommenen Entwaffnung, sondern eher einer temporären international überwachten Auslagerung. Khaled Meshaal, ein ranghoher Hamas-Offizieller, sprach gegenüber arabischen Medien von einem „freeze“. Beim Thema Entwaffnung wird immer öfter auf den entsprechenden Prozess in Nordirland verwiesen, der 11 Jahre gedauert hatte. Das „decommissioning“ und andere Begriffe im 20-Punkte-Plan tragen wohl die Handschrift von Tony Blair, der auch beim „Good Friday Agreement“ eine zentrale Rolle spielte – dessen Position im BoP oder der Übergangsadministration aber noch strittig ist. Mit Verweis auf den Nordirland-Prozess könnten sowohl Irland als auch das Vereinigte Königreich eine europäische Beteiligung bei dieser Aufgabe ermöglichen.
Ausblick
Die letzten beiden Wochen des Jahres 2025 werden entscheiden, ob der Trump-Plan nicht nur sein Momentum behält, sondern endlich mehr Verbindlichkeit bekommt und zusammen mit Partnern in einen nachhaltigen Prozess überführt werden kann. Spätestens beim anvisierten Treffen von Trump und Netanjahu am 29.12. in Washington DC müssen offene Fragen zum Abschluss von Phase 1, der Zusammensetzung des BoP und der ISF geklärt werden. Damit die EU eine wichtige Rolle spielt im weiteren Prozess, sollte sie nun:
- Sowohl im Board of Peace, als auch der Übergangsverwaltung vertreten sein, und zwar nicht allein durch einzelne Mitgliedsstaaten, sondern als EU auch durch die Hohe Repräsentantin oder den Ratspräsidenten.
- Verhindern, dass die Verwaltung im Gaza-Streifen dauerhaft von der PA im Westjordanland getrennt wird.
- Sich für die 2-Staaten-Lösung als langfristiges Ziel weiter einsetzen.
- Sich noch stärker mit den arabischen Staaten auf gemeinsame Positionen abstimmen.