ZIF kompakt | Krise in Südsudan – UNMISS mit elementar wichtigem Auftrag

Die politisch äußerst angespannte Lage und eine sich rapide verschlechternde Sicherheitssituation in Südsudan haben Befürchtungen ausgelöst, das jüngste Land der Welt steuere auf einen neuen Bürgerkrieg zu. Bereits seit Anfang des Jahres hatten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Regierungs- und Oppositionstruppen zugenommen. Anfang März eskalierten im nordöstlichen Bundesstaat Upper Nile Zusammenstöße zwischen Regierungssoldaten und der White Army, einer mit der Opposition verbundenen Miliz der Volksgruppe der Nuer, der auch der Erste Vizepräsident Riek Machar angehört. Auch in anderen Landesteilen kam es in Folge verstärkt zu Kämpfen, im Vergleich zum Vormonat nahmen diese im April um
25 Prozent zu. Am 26. März wurde Machar von Präsident Salva Kiir unter formellen Hausarrest gestellt, der 2018 begonnene Friedensprozess droht zu kollabieren. Der UN-Sicherheitsrat verlängerte das Mandat von UNMISS, der United Nations Mission in South Sudan, am 08. Mai mit drei Enthaltungen bis zum 30. April 2026, der Schutzauftrag hat weiterhin Priorität.
Die aktuelle Eskalation
Die gegenwärtige Krise wurde am 4. März ausgelöst, als die White Army die Militärbasis der Regierungs-truppen (South Sudan People’s Defense Forces/SSPDF) in der Stadt Nasir überrannte – laut Berichten ausgelöst durch eine Meinungsverschiedenheit über eine Rotation von SSPDF-Soldaten. Im Zuge eines Evakuierungseinsatzes am 7. März wurde ein UNMISS-Hubschrauber angegriffen, ein Crewmitglied und 17 SSPDF-Angehörige kamen ums Leben. Die Regierung reagierte mit Luftangriffen auf zivile Gebiete. Mit vermuteter Unterstützung ugandischer Truppen eroberte die SSPDF am 19. April Nasir von der White Army zurück. Laut OCHA haben die Kämpfe in Upper Nile seit März über 180 Todesopfer gefordert, ca. 125.000 Menschen sind geflüchtet (Stand: 15.04.2025). Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Regierungs- und Oppositionskräften sowie Milizen nahmen auch in anderen Bundesstaaten zu – inklusive Central Equatoria, wo Regierungskräfte rund um die Hauptstadt Juba Einrichtungen der Opposition angriffen (IISS/ACLED, Number of violent events). Im Bundesstaat Jonglei wurde Anfang Mai ein von Médecins Sans Frontières (MSF) betriebenes Krankenhaus von den SSPDF bombardiert und komplett zerstört. Mis-/Desinformation und Hassrede verstärken laut UNMISS bestehende ethnische Spaltungen.
Infolge der Ereignisse in Nasir wurden Anfang März über 20 Politiker:innen und Generäle von Machars SPLM/IO (Sudan People's Liberation Movement-in-Opposition) verhaftet. Der Erste Vizepräsident wurde wenig später unter der Anschuldigung, eine Rebellion anzustiften, unter Hausarrest gestellt. Die SPLM/IO erklärte das Friedensabkommen von 2018 daraufhin für faktisch gescheitert und kündigte an, sich aus Sicherheitsvereinbarungen zurückzuziehen. Während Machar unter Hausarrest steht, ist seine Partei von internen Spannungen betroffen.
Internationale und regionale Akteure forderten die Konfliktakteure auf, die Auseinandersetzungen unver-züglich einzustellen und zum Dialog zurückzukehren. Präsident Kiir (Sudan People's Liberation Movement / SPLM) zeigte bislang wenig Interesse an externen Vermittlungsbemühungen, etwa des Anfang April angereisten Panel of the Wise der Afrikanischen Union. In seinem jüngsten Bericht zur Lage in Südsudan (S/2025/211) warnte UN-Generalsekretär António Guterres, der gesamte Friedensprozess sei ernsthaft vom Scheitern bedroht, es bestehe die reale Möglichkeit eines Rückfalls in den Konflikt. Ein Bruch des Abkommens würde nicht nur Südsudan verwüsten, sondern auch die gesamte Region in Mitleidenschaft ziehen, so Nicholas Haysom, Special Representative of the Secretary-General (SRSG) und Leiter von UNMISS.
Zudem besteht die Sorge, dass der seit April 2023 andauernde Krieg im benachbarten Sudan über Upper Nile in den Südsudan übergreift. Berichten zufolge hat wirtschaftlicher Druck Präsident Kiir näher an die sudanesischen Rapid Support Forces (RSF) und ihren mutmaßlichen Unterstützer, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), herangeführt, eine Entwicklung, die durch das Bündnis der RSF mit der SPLM-Nord, einer mit Juba verbündeten sudanesischen Rebellengruppe, noch verstärkt wird. Nachrichten über Zusammenstöße zwischen RSF-Kämpfenden und SPLM-IO-Kräften in Upper Nile haben die Befürchtungen erhöht.
Ende Mai stimmt der UN-Sicherheitsrat über die Verlängerung des seit 2018 bestehenden Waffenembargos gegen Südsudan ab; verfügbare Daten weisen darauf hin, dass es nur geringe Auswirkungen auf den Strom von Kleinwaffen und leichten Waffen hatte, aber die Einfuhr schwerer Waffen eingedämmt hat (ICG).
Hintergrund
Die militärische Eskalation steht in Verbindung mit den seit Monaten zunehmenden politischen Spannungen zwischen den beiden Hauptkontrahenten des Bürgerkriegs 2013-2018 (mit über 400.000 Todesopfern), Salva Kiir und Riek Machar. Unter anderem sieht sich Präsident Kiir dem anhaltenden Vorwurf ausgesetzt, zur Absicherung seiner Macht Angehörige seiner eigenen ethnischen Gruppe, der Dinka, in Schlüsselpositionen innerhalb der Regierung, des Militärs und staatlicher Unternehmen zu berufen und die Opposition mit der Ermutigung zu Überläufen und ständigen Umbesetzungen staatlicher Einrichtungen bewusst zu schwächen (S/2024/855). Im Februar hatte er ranghohe Gefolgsleute seines Stellvertreters Machar auf Minister- und Gouverneursebene aus ihren Ämtern entfernt und die Regierung auf Ebene der Vizepräsident:innen einseitig umgebildet.
Tiefes Misstrauen zwischen Kiir und Machar und mangelnder politischer Wille erschweren seit der verzögerten Bildung ihrer Übergangsregierung im Februar 2020 die effektive Implementierung des im September 2018 von IGAD (Intergovernmental Authority on Development) vermittelten, revitalisierten Friedensabkommens (R-ARCSS). Zu den zentralen Bestimmungen des sechs thematische Kapitel umfassenden Abkommens gehören Übergangs-Sicherheitsvereinbarungen (u.a. vereinigte Sicherheits-kräfte), die Ausarbeitung einer neuen ständigen Verfassung und die Durchführung von Wahlen. Anfang September 2024 waren nur 17 Prozent des Abkommens umgesetzt (S/2024/855, S/2025/231); angesichts der Verzögerungen wurde die Übergangsphase am 13. September 2024 zum vierten Mal verlängert (bis Februar 2027). Die für Dezember 2024 vorgesehenen Wahlen sollen nun im Dezember 2026 stattfinden. SRSG Haysom warf der Regierung Anfang November 2024 vor, die Umsetzung des Friedensabkommens und der 2022 vereinbarten Roadmap (für die Bewältigung der verbliebenen Aufgaben der Transition) weiterhin auf die lange Bank zu schieben – „while political interests play out at the national level“ (S/PV.9778).
Sicherheitssituation, Menschenrechte und humanitäre Lage
Die Gewalt eskaliert in einem Land, das unter enormen Spannungen steht. Die Sicherheitslage hatte sich bereits im Laufe des Jahres 2024 auf sub-nationaler Ebene verschlechtert. Die Gesamtzahl gewaltsamer Vorfälle ist laut der UNMISS Human Rights Division im Vergleich zu 2023 um 15 Prozent gestiegen, von 885 auf 1.019. Die Zahl der zivilen Opfer stieg um 9,5 Prozent, von 3.340 auf 3.657 – 12 Prozent davon waren Frauen, 13 Prozent Kinder. Bei der Zahl der Todesopfer dokumentierte UNMISS einen Anstieg um 2,4 Prozent von 1.524 auf 1.561. Für rund 79 Prozent der zivilen Opfer waren lokale Milizen und/oder Bürgerwehren verantwortlich, für rund 15 Prozent konventionelle Konfliktparteien und etwa 6 Prozent andere bewaffnete Gruppen. Konfliktbedingte sexuelle Gewalt (Conflict-Related Sexual Violence / CRSV) hat 2024 im Vergleich zu 2023 stark (51 Prozent) zugenommen (163/246 Opfer). Der Krieg in Sudan verschärfte die Sicherheits-situation. Mitte Januar 2025 kam es nach Berichten über die Tötung von südsudanesischen Staatsbürger:innen im sudanesischen Bundesstaat El Gezira in Juba und anderen Teilen Südsudans zu mehrtägigen gewaltsamen Ausschreitungen gegen sudanesische Staatsbürger:innen (39 Tote, 265 Verletzte).
Gewaltsame kommunale Konflikte, eine schlechte wirtschaftliche Lage – bedingt insbesondere durch den Einbruch des Ölexports als wichtigste Einnahmequelle infolge des Kriegs in Sudan –, eine seit September 2024 grassierende Cholera-Epidemie mit rd. 49.000 Fällen und 900 Toten (WHO) sowie klimabedingte Dürren und Überschwemmungen in 7-12 Prozent des Landes verursachen eine akute humanitäre Krise. Der Krieg in Sudan mit 1,1 Millionen nach Südsudan Geflüchteten hat diese noch verschärft. Im INFORM1-Risikoindex 2025 belegt Südsudan weltweit Platz 1.
Rund 1,8 Millionen Südsudanes:innen sind intern vertrieben, 2,3 Millionen leben als Geflüchtete in Nach-barländern. 9,3 Millionen Menschen (69 Prozent der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen) sind im März 2025 auf humanitäre Hilfe angewiesen (OCHA). Laut World Food Programme ist Südsudan an einem „critical tipping point“ mit 7,7 Millionen Menschen, die sich in Phase 3-5 der Integrated Food Security Phase Classification IPC (akuter Hunger, humanitärer Notfall, Hungersnot-ähnliche Zustände) befinden (WFP). Besonders belastet ist der am stärksten von der aktuellen Konflikteskalation betroffene Bundesstaat Upper Nile, dort ist auch ein Großteil der 1,1 Millionen Geflüchteten aus Sudan angekommen. Aufgrund der Auseinandersetzungen wurden dringend notwendige humanitäre Maßnahmen unterbrochen. Südsudan bleibt weltweit einer der gefährlichsten Orte für humanitäre Helfer:innen mit 198 gewaltsamen Vorfällen in 2024 (A/HRC/58/27) und neun Toten (AWSD).
Mandat von UNMISS
Nach einem Technical Rollover am 30. April 2025 verlängerte der UN-Sicherheitsrat das Mandat von UNMISS am 8. Mai bei drei Enthaltungen (China, Russland, Truppensteller Pakistan) um ein Jahr bis zum 30. April 2026 (S/RES/2779). Die zentralen Aufgaben bleiben unverändert: (1) Schutz der Zivilbevölkerung (Protection of Civilians/POC); (2) Absicherung humanitärer Hilfe; (3) Unterstützung bei der Umsetzung des R-ARCSS und des Friedensprozesses; sowie (4) Überwachung der Menschenrechte und Untersuchung von Verstößen. In der Umsetzung des seit 2013 prioritären Schutzauftrags setzt die Mission seit 2021 auf einen flexiblen pro-aktiven Einsatz in der Fläche mit Temporary Operating Bases (TOB) sowie Quick Reaction Forces und reagierte auf die aktuelle Eskalation durch Verstärkung ihrer Patrouillen. Die Umsetzung des POC-Mandats bleibt für UNMISS wegen immer wieder stattfindender Einschränkungen der Bewegungsfreiheit eine große Herausforderung – im ersten Quartal wurde sie in 381 Fällen an Patrouillen gehindert. Ein gravierendes Problem ist die Forderung der Regierung nach Räumung des administrativen und operativen UNMISS-Hauptquartiers in Juba (Tomping Base) bis 1. Juni, um den geplanten Ausbau des Flughafens zu ermöglichen.
Im Hinblick auf die Wahlen 2026 machte der Sicherheitsrat nach der erneuten Verschiebung deutlich, dass Organisation und Finanzierung in der Verantwortung Südsudans liegen. UNMISS soll wie bisher technische Unterstützung und Beratung leisten, weiterer Support, etwa Logistik, wird an Fortschritte der Regierung bei der Schaffung der erforderlichen Wahl-Voraussetzungen geknüpft. Die USA als Penholder für Südsudan im Sicherheitsrat hatten auf Restriktionen bei der weiteren Bereitstellung finanzieller Mittel gedrungen. Auch im Bereich Klimasicherheit wird im Unterschied zu 2024 die finanzielle Verantwortung Südsudans für den Umgang mit klimabedingten Herausforderungen hervorgehoben, das Mandat rekurriert zudem nicht mehr auf die UN Framework Convention on Climate Change und das Paris Abkommen.
Ebenso findet sich in anderen etablierten Mandatsaufgaben (WPS-Agenda, Mis- und Desinformation) teilweise eine veränderte Mandatssprache. Im Zuge der UNMISS-Verlängerung formulierten die USA deutlich ihre Position zur künftigen Ausgestaltung von Peacekeeping-Mandaten: „Peacekeeping mandates, including this one, should not pursue ideological goals that are difficult to define and even more challeng-ing to implement on the ground, but rather focus on core Chapter VII functions.”
Die Obergrenze für uniformiertes Personal wurde mit 17.000 Soldat:innen und 2.101 Polizist:innen beibehalten. Der Sicherheitsrat sprach jedoch von der Möglichkeit, Anpassungen bei der Truppenstärke vorzunehmen. Das aktuelle Mandat für den Einsatz der Bundeswehr an UNMISS endet am 31. Oktober 2025, die personelle Obergrenze liegt bei 50 Soldat:innen (im Einsatz 14, Stand: 12. Mai 2025), zudem können bis zu
20 Polizist:innen des Bundes und der Länder eingesetzt werden (aktuell 7, Stand: 12. Mai 2025), das ZIF hatte bis Ende April zwei zivile Expert:innen im Einsatz (aktuell 1, Stand: 19. Mai 2025).
Ausblick
Das erneuerte Engagement der internationalen Gemeinschaft und regionaler Akteure ist entscheidend, um Südsudan zurück auf den Weg zum Frieden zu bringen. Das Mandat von UNMISS stellt den Schutz der Zivilbevölkerung an erste Stelle, gleichzeitig muss die Mission alles unternehmen, um die Akteure wieder an den Verhandlungstisch zu bringen, einen Rückfall in den Bürgerkrieg zu verhindern und die verbliebe-nen Aufgaben der Transition zu implementieren. Deutschland unterstützt hier unter anderem über den Peacebuilding Fund, dessen größter Geber die Bundesregierung ist und der aktuell neun Projekte in Südsudan finanziert.